Fairness statt Gleichheit: Bildung als Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben

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Teach for Austria ist eine österreichische Initiative für mehr Bildungsgerechtigkeit und Teil des weltweiten Netzwerkes Teach for All.

Das Recht auf Bildung ist sowohl in der österreichischen Verfassung als auch in der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert. Doch gleiches Recht für alle bedeutet nicht automatisch Fairness. Die gemeinnützige Organisation Teach for Austria macht es sich daher zum Ziel, jedem Kind die gleichen Chancen zu ermöglichen. Gemeinsam mit Christiane Steinlechner, Regionalleiterin für Oberösterreich, sprechen wir über die Vision dahinter und erfahren, wie wir alle von mehr Bildungsgerechtigkeit profitieren (würden).

Die gemeinnützige Initiative Teach for Austria sieht Bildung als wesentlichen Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben. „Dabei geht es um Chancengerechtigkeit und Fairness, nicht um Gleichmacherei“, erklärt Christiane Steinlechner, Regionalleiterin für Oberösterreich. Man müsse zum Beispiel Lehrkräfte stärken, damit diese wiederum eine echte Potenzialentfaltung ermöglichen. Im Interview spricht sie über die Vision von Teach for Austria und darüber, was es im Bildungssektor noch alles zu tun gilt.

Bildung ist nach wie vor ein Privileg. Wenn du hier und jetzt eine Sache daran ändern könntest, welche wäre das?

Christiane Steinlechner: Generell gesehen braucht es mehr Wertschätzung für die Lehrkräfte. Sie sind der wichtigste Hebel für die Zukunft einer Gesellschaft. Lehrkräfte werden in Österreich zu Unrecht in ihrem Beruf nicht genug wertgeschätzt, dabei gibt es viele engagierte Lehrer:innen. Sie brauchen aber auch die Ressourcen, um die Fähigkeiten der Schüler:innen und die Chancenfairness zu stärken. Sie müssen in ihrer Fortbildung unterstützt werden und es braucht eine gute Ausstattung der Schulen. Auch multiprofessionelle Dienste vor Ort sind wichtig, um die Lehrkräfte zu unterstützen. 

Laut EU-Bildungsmonitor hängt der Bildungserfolg von Kindern in keinem Land mehr vom Status und Bildungsniveau der Eltern ab als in Österreich. Woran liegt das?

Christiane Steinlechner: Zum einen ist das historisch bedingt. Zum anderen ist der Leistungsgedanke in Österreich kaum positiv besetzt. Man müsste Leistung eigentlich als die Möglichkeit Einzelner sehen, sich entlang ihrer Begabungen zu entwickeln. Schließlich ist sie nichts Schlechtes. Hinzu kommt, dass Regierende Schulen immer als Instrument zur Erziehung von Untertanen angesehen haben, besonders im 20. Jahrhundert als Steuerungselement zur Gleichschaltung von Menschen. Es gibt eine Skepsis gegenüber staatlicher Bildung. Die Einführung des Unterrichtsfaches Ethik ist da ein erster wesentlicher Schritt zu einem besseren Schulklima und Verständnis füreinander.

Welchen Einfluss haben diese Unterschiede in der Bildung auf die wirtschaftlichen Entwicklungen des Landes?

Christiane Steinlechner: Der nationale Bildungsmonitor sagt ganz klar: Ein Drittel derjenigen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben, können nicht sinnerfassend lesen. Speziell Oberösterreich ist zwar ein wirtschaftlich prosperierendes Land, aber auch hier wirkt sich das massiv aus. Schauen wir es uns anhand des Faktors „frühe Bildungsabbrecher:innen“ an – das sind Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren, die nur einen Pflichtschulabschluss haben. 2018 lag der Bundesdurchschnitt in dieser Gruppe bei zehn Prozent. In Oberösterreich liegen wir in manchen Regionen sogar weit darüber. Fakt ist, dass diese Gruppe mit höherer Wahrscheinlichkeit arbeitslos wird. Die Folge: Wir verlieren die Bildungsmitte. Es geht eine Schere auf zwischen denen, die weiterführende Ausbildungen machen und denen, die nicht einmal den Pflichtschulabschluss schaffen. Das sind auch zukünftige Fachkräfte, die uns fehlen. 

 Was sind die gesellschaftlichen Auswirkungen und auch die Folgen für die Betroffenen? 

Christiane Steinlechner: Wenn man beispielsweise nicht sinnerfassend lesen kann, verursacht das beim Individuum natürlich Scham und Unsicherheit. Man nimmt sich selbst aus dem gesellschaftlichen Leben heraus, hat weniger Eigenantrieb. Corona hat diese Entwicklung noch beschleunigt: Jugendliche entwickeln Zukunftsängste und entfremden sich von der Gesellschaft. 

Kommen wir zu den Lösungsansätzen. Wo setzt Teach for Austria an? 

Christiane Steinlechner: Wir sind Teil eines weltweiten Netzwerks, Teach for All, das es in 60 Ländern gibt. Seit zehn Jahren sind wir in Österreich vertreten, seit vier in Oberösterreich. Die Idee ist, dass Schüler:innen von Rolemodels lernen. Wir vermitteln junge, engagierte Personen an Schulen, die sogenannten Fellows. Diese begleiten die Schüler:innen vor Ort. Das Programm dauert zwei Jahre und bietet natürlich auch für die Fellows enorme Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Den betreuten Schüler:innen sollen andere Perspektiven und Möglichkeiten aufgezeigt werden, sie bekommen quasi Mentor:innen zur Seite gestellt.

Was ist die Idee der „Vision 2050“ und welche langfristigen Ziele verfolgt ihr? 

Christiane Steinlechner: Unsere Vision lautet: Jedes Kind muss die Chance auf ein gutes Leben haben. Egal, wie wohlhabend seine Eltern sind. Als Teach for Austria verstehen wir uns als Impulsgeber auf Ebene der Schulen. Unsere Fellows sind nicht die besseren Lehrkräfte, aber sehen schnell die Herausforderungen. Wir haben bereits 400 Alumnis, die teilweise noch unterrichten, teilweise in anderen Berufen Fuß gefasst haben. Damit schaffen wir einen System Impact – Bildung ist ein wesentlicher Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben. 

Wie kann man als Außenstehender in diesem Bereich aktiv werden, wenn man die Bildung in (Ober-)Österreich unterstützen möchte? 

Christiane Steinlechner: Uns als Organisation, und somit auch der Bildungsgerechtigkeit im Land, ist am meisten geholfen, wenn man interessierte Freund:innen und Bekannte auf unser Fellow-Programm aufmerksam macht. Wir haben aber auch andere Partner:innen, zum Beispiel aus der Wirtschaft, die in diesem Thema sehr aktiv sind und Expertise beisteuern. Auch das Land Oberösterreich unterstützt uns in vielen Bereichen. Wenn man für mehr Fairness in der Bildung aktiv werden möchte und sich für das Leadership-Programm interessiert, kann ich nur empfehlen, sich bei uns zu melden.

Von David Bauer