„Wir müssen Talente und Interessen geschlechterunabhängig fördern“

Carolin Hahn
Typische Spielzeuge für Mädchen und Jungs fördern bereits im Kindesalter gewisse Vorlieben und Interessen – aber auch Rollenbilder.

Weshalb Frauen im MINT-Bereich zu den Spitzenkräften des Landes gehören können und sollten, stellt Carolin Hahn eindrucksvoll unter Beweis. Sie ist Doktorin der Physik, sammelte europaweit Berufserfahrung und ist seit 2018 selbstständig. Als Consultant arbeitet die Wahl-Linzerin intensiv mit der Wissenschaft und Forschung zusammen. Welche Erfahrung sie dort im täglichen Umgang macht und welche spontane Idee sie hätte, den MINT-Bereich weiblicher zu gestalten? Das verrät sie uns im Interview.

Du beschreibst dich selbst als „Wissenschafts-Enthusiastin“. Wie kam es dazu?

Carolin Hahn: Mich hat Wissenschaft fasziniert, solange ich denken kann. Begonnen hat das bei mir mit der Astronomie, als ich noch klein war. Dass man auf der Grundlage von Beobachtungen Theorien entwickelt und deren Vorhersagen dann testet, was unter Umständen ganze Weltbilder umschmeißen kann. Das hat schon was. Was für die Astronomie gilt, gilt natürlich auch für andere Wissenschaftsbereiche. Ich mag diesen ewigen Lernprozess.

Gibt es eine Sache, bei der du im täglichen Umgang mit Naturwissenschaftler:innen einen Unterschied zwischen Frauen und Männern erlebst?

Carolin Hahn: Unter Wissenschaftler:innen selbst zum Glück gar nicht so sehr. Trifft man auf „normale“ Menschen, ist es aber oft Thema, dass man als Frau ausgerechnet so etwas Exotisches wie Physik studiert hat. Zumal noch als eine Frau, die vielleicht nicht ganz so aussieht, wie viele sich eine Physikerin anscheinend vorstellen. Meistens ist das, glaube ich, als Kompliment gemeint. Männer umgekehrt müssen meiner Erfahrung nach deutlich seltener erklären, warum sie (als Mann!) Physik studiert haben. Es mag allerdings sein, dass das bei Elementarpädagogen ganz anders aussieht.

Welche spannenden Berufe und Aufgaben bietet deine Branche generell, aber auch speziell für Frauen?

Carolin Hahn: Als Beraterin habe ich das große Privileg, gleich in mehreren Branchen unterwegs sein zu dürfen. Sehr viel Zeit und positive Energie fließt bei mir aktuell in die Quantentechnologien, konkreter in den Bereich des Quantencomputings. Dieses Feld erlebt seit Jahren eine enorme Dynamik. Weil wir den Punkt erreicht haben, an dem die Technologie reif genug ist für den Schritt aus dem Labor hinaus, hin zur kommerziellen Vermarktung. Hier ist sicherlich noch eine Menge Pionierarbeit zu leisten, deshalb gibt es in diesem Bereich viele spannende Tätigkeiten – nicht nur in der Forschung und Entwicklung, mit denen man die Zukunft mitgestalten kann.

Teil deiner Expertise sind neue Ansätze und kreative Lösungen in der Kommunikation und Strategieentwicklung. Welche spontane Idee hättest du, damit MINT weiblicher wird?

Carolin Hahn: Ui, das ist eine harte Nuss! Da muss man echt schon im Kindergarten anfangen und Talente und Interessen geschlechterunabhängig fördern. Das gilt übrigens nicht nur für MINT – umgekehrt gibt es ja auch Bereiche, die stark in weiblicher Hand sind und denen ein paar mehr Männer sehr guttun würden. Dabei sollte im Vordergrund stehen, dass jede:r etwas findet, was er oder sie gut und mit Freude macht, und nicht, was jetzt eher typisch weiblich oder typisch männlich ist.

Wie schaffen wir es in Zukunft, Kinder früh zu begeistern und welche Bedeutung haben Rollenbilder in diesem Prozess?

Carolin Hahn: Ich glaube, ganz wichtig ist es, die Freude am spielerischen Lernen und die kindliche Neugier zu erhalten, denn diese beiden Grundinstinkte werden uns leider mit der Zeit eher abtrainiert. Mit der Frage „Warum sind die Dinge so, wie sie sind?“, kommt man ziemlich weit, wenn sie einem nicht schon früh mit einem resoluten „Weil es halt so ist!“ ausgetrieben wird. Der Begriff „Rollenbild“ ist bei mir eher negativ besetzt, denn da denke ich automatisch das Wörtchen „traditionell“ mit. Heißt das, die Mädels bekommen die Puppenküche, die Jungs den Elektrobaukasten? Sicherlich entwickelt jedes Kind seine eigenen Interessen und Vorlieben, aber warum gibt man nicht allen die gleichen Chancen? 

Also lieber Vor- statt Rollenbilder?

Carolin Hahn: Role Models, also Vorbilder, halte ich dagegen für eine gute Idee. Wenn Kinder von klein auf erleben, dass Frauen auch rechnen oder Sachen reparieren können und, dass Männer auch kochen oder sich um Kinder kümmern können, dann gewöhnen sie sich gewisse Vorurteile hoffentlich gar nicht erst an.

# Gedankensprung mit Carolin Hahn 

Frauen in MINT-Berufen_sind (meistens) ziemlich cool.

Als Kind habe ich am liebsten_gelesen.

Mein Lieblingsfach in der Schule_eigentlich gab’s mehrere: Physik, Geschichte und Englisch

Die wichtigsten Skills für meinen Job sind_klare Kommunikation, vernetztes Denken, technisches Verständnis und Verständnis für Techniker:innen

Deshalb habe ich mich für den Bereich MINT entschieden_weil ich ihn unglaublich spannend fand.

Das Vorbild meiner Jugend_gab es nicht direkt. Aber sehr inspiriert haben mich Menschen wie Richard Feynman und Carl Sagan.

Was mich auf meinem MINT-Karriereweg am meisten geprägt hat_die Art und Weise zu denken und an Probleme heranzugehen, die man im (Physik-)Studium verinnerlicht.

Das „Frauen und Technik“-Klischee hinkt, weil_es zum einen viele Top-Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen gibt, selbst wenn man sie in manchen Bereichen etwas suchen muss. Und zum anderen, weil es auch echt viele Männer gibt, die wahrlich keine technischen Masterminds sind.

Wenn der Frauenanteil in MINT-Berufen 50 Prozent betragen würde_dann gäbe es wahrscheinlich keine Artikel wie diesen hier mehr... ;)

Meine bisher größten beruflichen Herausforderungen waren_der Start in die Selbständigkeit in einer neuen Stadt in einem neuen Land. Und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Mein Karrieretipp für junge Frauen_stelle dein Licht nicht unter den Scheffel. Baue dir ein Netzwerk.

Von David Bauer