Weil´s nicht einfach „nur“ eine Lehre ist

(c) Mario Derntl
Mario Derntl tritt für eine Attraktivierung von Lehrberufen ein.

Trotz der Coronakrise werden rund 10.000 Lehrlinge in Österreich gesucht. Bis zum Jahr 2030 sollen eine halbe Million Facharbeiter:innen fehlen, so die Prognosen. Eine von der Initiative zukunft.lehre.österreich. (z.l.ö.) in Auftrag gegebene Studie zeigt: Knapp ein Drittel der Lehrbetriebe ist besorgt, nicht ausreichend Lehrstellenbewerbungen von geeigneten Kandidat:innen zu erhalten. Die Lehre attraktiver zu machen, ist ein wichtiger Baustein, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wie das gelingen kann, erklärt z.l.ö.-Geschäftsführer Mario Derntl.

Wo steht die Lehre aktuell?

Mario Derntl: Die Lehre ist eine hochwertige Ausbildung. Das duale Konzept, also das Zusammenspiel aus praktischer Ausbildung im Lehrbetrieb und theoretischer Ausbildung in der Berufsschule, wird europaweit bewundert. Die Lehre ist also auf dem richtigen Weg. Aber natürlich gibt es auch Herausforderungen – besonders in Bezug auf das Image. Das betrifft den urbanen Raum deutlich mehr als die ländlichen Regionen.

Warum ist es im urbanen Raum schwieriger, Lehrlinge zu bekommen?

Mario Derntl: Mit Ausnahme von Linz, ist die Dienstleistungsquote in den österreichischen Hauptstädten viel höher als der Anteil der Industrie. Infolgedessen ist das Angebot für handwerklicher Lehrberufe nicht so breit gefächert. Dazu kommt dann noch, dass die Akademisierungsquote in den Städten relativ hoch ist. In den ländlichen Regionen sind die Leute außerdem viel stärker in den einzelnen Gemeinden verankert. Da weiß man, dass die Bäckerei im Ort oder der Fleischereibetrieb in der Nachbarschaft super Lehrstellen vergibt. Das ist im urbanen Raum natürlich nicht so gegeben.

Was Wie kann das Image der Lehre (im urbanen Raum) aufgewertet werden? Welche Initiativen braucht es?

Mario Derntl: Vor allem bei den Eltern muss das Bewusstsein dafür erhöht werden, dass die Lehre keine Sackgasse, sondern eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Karriere ist. Mit der Lehre stehen einem alle Türen offen – auch die Matura oder eine spätere akademische Ausbildung. Durch Angebote wie die Lehre mit Matura und die Berufsreife ist ja mittlerweile alles möglich. Wir haben kürzlich eine große Jugendstudie veröffentlicht, die gezeigt hat, dass die Lehre bei jungen Menschen im Altern von 15 fünfzehn bis 29 Jahren denselben Stellenwert hat wie die Matura. Hier braucht es also keine Überzeugungsarbeit. Bei den Eltern und Großeltern ist aber noch viel Luft nach oben. Und die haben natürlich einen großen Einfluss darauf, welche Berufsausbildung der Nachwuchs macht.

Glauben Sie, dass es mit 15 fünfzehn Jahren noch zu früh ist, sich für eine (Berufs-)Ausbildung zu entscheiden?

Mario Derntl: Teilweise ja, teilweise nein. Manche wissen schon in der Sandkiste, welchen Beruf sie später ausüben wollen. Andere ändern mehrmals ihren Weg. Deshalb ist es auch so wichtig, zu unterstreichen, dass auch mit der Lehre nur eine Richtung eingeschlagen wird, die weiterhin alle Möglichkeiten zur Weiterbildung offen lässt. Deshalb glaube ich auch, dass man die Entscheidung in diesem Alter durchaus treffen kann. Wir sind aber ganz stark davon überzeugt, dass die Berufsorientierung noch stärker in den Schulen Schulalltag einfließen muss. Sich frühzeitig mit seinen Talenten auseinanderzusetzen und dabei auch auf unterstützende Tools wie Talente-Checks oder Potentialanalysen zurückzugreifen, hilft enorm.

Kritik von der Industrie gab es zuletzt an der (coronabedingten) Entscheidung des Bildungsministeriums, mit einem „Nicht genügend“ aufsteigen zu können. Das setze die Lehrlingsbetriebe zusätzlich unter Druck. Wie stehen Sie dazu?

Mario Derntl: Diese Entscheidung wirkt sich leider tatsächlich sehr negativ auf die Lehrlingsbetriebe aus. Ein Drittel der Lehranfänger sind Schulabbrecher. Ein Großteil davon sind Schüler, die die neunte Schulstufe nicht im Poly, sondern in einer HTL oder HAK machen. Weil Da man sich im Bildungsministerium nun leider für diese Aufstiegsklausel entschieden hat, fehlen der Industrie viele dieser Lehranfänger. Wir sehen das sehr kritisch. Damit wird niemandemn ein großer Gefallen getan. Man vermittelt eine falsche Sicherheit. Es macht natürlich Sinn, das Corona-Schuljahr anders zu bewerten. Da stimme ich voll und ganz zu. Aber Anreize zu schaffen, um Schüler, die mehrere Jahre hintereinander schwächeln, im Schulsystem zu halten, obwohl eine andere Ausbildung wahrscheinlich besser geeignet wäre, finden wir problematisch.

Im April wurde von Bundesministerin Margarete Schramböck die „DigiScheck“-Förderung zugesagt – eine von der z.l.ö. geforderten Maßnahme. Wieso ist diese Maßnahme so wichtig?

Mario Derntl: Der „DigiScheck“ ist eine super Geschichte. Damit wurden finanzielle Mittel für die digitale Weiterbildung der Lehrlinge zur Verfügung gestellt. Fortbildungskurse, die zwischen 1. Jänner 2021 und 31. Dezember 2022 stattfinden, werden mit bis zu 500 Euro gefördert. Aktuell wurden bereits mehr als 10.000 Kurse als förderbar genehmigt. Für Sich für den „DigiScheck“ zu bewerben, lohnt sich also wirklich. 

Das oberösterreichische Pilotprojekt der Dualen Akademie wird ab 2022 in ganz Österreich ausgerollt. Das Modell realisiert eine verkürzte Lehrzeit für AHS-Absolventen. Wie waren die Erfahrungen damit in Oberösterreich?

Mario Derntl: Die Duale Akademie ist ein tolles Modell! Da muss man auch einen großen Dank an Doris Hummer und ihr Team von der Wirtschaftskammer Oberösterreich aussprechen, die das Modell immer forciert haben und ganz wesentlich dafür verantwortlich sind, dass es umgesetzt wurde. Damit wurde wirklich eine coole Möglichkeit geschaffen, die Zielgruppe der AHS-Maturanten attraktiv anzusprechen. Es gibt viele AHS-Absolventen, die nicht mehr weiterstudieren möchten, sich mangels geeigneter Alternativen aber dann doch dazu entscheiden – und die können wir mit der Dualen Akademie gut abholen.

Wie wird sich das auf die angespannte Situation der Lehrlingsbetriebe auswirken?

Mario Derntl: Das müssen wir erst abwarten. Derzeit gibt es die Duale Akademie nur für ausgewählte Lehrberufe – auch hier wird das Angebot in Zukunft sicher noch weiter ausgebaut. Aber die Pilotphase in Oberösterreich ist gut angelaufen. Und die Zielgruppe der AHS-Maturanten ist natürlich riesig.

Abgesehen vom Image: Wenn Sie einen weit verbreiteten Irrtum über die Lehre korrigieren könnten, welcher wäre das?

Mario Derntl: Es gibt so viele höchst erfolgreiche Menschen, die sich mit der Lehre als Grundlage selbstständig gemacht haben. Dieser Karriereweg wird unglaublich unterschätzt! Wir müssen diese Persönlichkeiten vor den Vorhang holen und alle diese realen Beispiele aufzeigen. Und dann würde auch dieses verzerrte Bild nachhaltig aufbrechen, dass man in der beruflichen Karriere irgendwann nicht mehr weiterkommt, wenn man „nur“ eine Lehre gemacht hat.

Von Daniel Schöppl