Die nächste Krise kommt bestimmt. Na, und?

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Krisen sind laut Christian Gulas unausweichlich – wie können wir uns also auf sie vorbereiten?

Resilienz – vor der Krise noch ein relativ unbekannter Fachbegriff, soll jetzt plötzlich alles resilient werden: Menschen, Unternehmen, Gemeinden, Städte und Staaten. Heißt: Wir müssen lernen, mit Krisen umzugehen und aus ihnen zu lernen. Aber sind Krisen nicht der Definition nach destruktiv? Welche Chancen können sie einem Staat und der Wirtschaft bieten? Darüber sprechen wir mit dem Experten Christian Gulas von FASresearch.

Was beschreibt der Begriff Resilienz im politischen und ökonomischen Zusammenhang?

Christian Gulas_Der Resilienzbegriff wird je nach Disziplin recht unterschiedlich benutzt. Bei FAS-Research verwenden wir den Begriff vor allem im Kontext eines Zyklusmodells, das für persönliche Beziehungen, aber auch größere Systeme wie zum Beispiel ganze Wirtschaftszweige oder Staaten zutrifft. Es gibt immer eine Aufbauphase, in der Dinge entstehen müssen, danach beginnt das System zu wachsen und zu blühen. Irgendwann stößt das System an seine Grenzen, Wachstum ist nicht mehr möglich. Vielleicht haben sich die Bedingungen verändert und erprobte Routinen und Lösungen funktionieren nicht mehr – so wie jetzt in der Pandemie, wo wirtschaften wie vorher nicht mehr möglich war. Dann baut das System ab, es gerät in eine Krise.

Was muss in dieser Situation passieren?

Christian Gulas_Darum geht es eigentlich: Wir müssen lernen, uns in gewisser Weise mit solchen Phasen abzufinden und zu lernen, welche Schritte wir setzen müssen. Denn nach dem Zusammenbruch kommt immer eine Phase der Umorientierung und der Erkundung: Wie kann ich jetzt etwas Neues aufbauen? Ich persönlich sehe „die Krise als Chance“ ein problematisches Konzept, weil immer bestimmte Gruppen unter einer Krise leiden. Aber sie sind eben Teil eines Zyklus aus Entstehen, Wachstum, Zusammenbruch und Erneuerung.

Welche Fähigkeiten braucht es denn in der Zeit nach der Krise?

Christian Gulas_Einerseits geht es natürlich stark um den Wiederaufbau, aber um wirklich etwas zu gewinnen, darf nicht einfach das Alte wieder aufgebaut werden: Wir müssen gewisse Verhaltensmuster und Systeme ablegen und verlernen und sie mit etwas Neuem ersetzen, das besser in die veränderten Bedingungen passt. Wichtig ist es auch, in Krisenzeiten zu versuchen, die guten Seiten wahrzunehmen; nicht das Negative ins Positive umdeuten, sondern Chancen und Möglichkeiten für Neues wahrzunehmen, weil Altes zurückgelassen wird.

Eine zentrale Eigenschaft einer Krise ist, dass sie relativ unerwartet auftritt. Können sie irgendwie vorab erkannt werden?

Christian Gulas_Einerseits gibt es natürlich statistische Indikatoren wie die wirtschaftlichen Zahlen eines Unternehmens oder Staates. Je nach Art der Krise gibt es aber auch noch andere sogenannte Crack-Signals. In einem Unternehmen ist das zum Beispiel, dass alle Ressourcen in der Bewältigung der täglichen Aufgaben gebunden sind und keine Energie für die Weiterentwicklung vorhanden ist. Daran lässt sich oft ablesen, dass irgendetwas im System nicht mehr stimmt.

Ist eine Vorbereitung auf Krisen überhaupt möglich?

Christian Gulas_Natürlich kann immer etwas Unerwartetes passieren, das nicht vorhersehbar ist. Aber wir von FAS-Research bieten co-kreative Formate namens „Situation Rooms“ an, in denen verschiedene Krisenszenarien durchleuchtet werden: Welche gibt es und wie wahrscheinlich sind sie? Welche Faktoren wären wichtig, um mit den Herausforderungen in dieser Situation umzugehen? Sind diese Faktoren bei uns vorhanden und wenn nicht: Können wir sie aufbauen? Wenn man da so viele Stakeholder wie möglich zusammenholt – auf staatlicher Eben wären das zum Beispiel Vertreter aus der Wirtschaft, der Politik, dem Gesundheitssektor und so weiter – kann man sich da oft sehr gut vorbereiten. Allerdings ist auch das nicht zu 100 Prozent sicher, 2014 haben wir so eine Bewertung für Österreich druchgeführt. Dabei wurde die Pandemie als das Krisenszenario bewertet, auf das Österreich am besten vorbereitet ist, dessen Eintreten aber am unwahrscheinlichsten ist. Ich weiß nicht, ob die Einschätzung heute gleich wäre.

Gibt es Herausforderungen, die alle Krisen gemein haben?

Christian Gulas_Auch das ist schwierig zu verallgemeinern. Aber ein sehr häufiger Faktor ist der Verlust sozialer Kohäsion: Die Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern bricht zusammen, weil plötzlich jeder zuerst auf sich selbst achtet. Das kennen wir auch von uns selbst, wenn es uns schlecht geht, haben wir keine Energie mehr, um auf andere zu achten. Durch gute Kommunikation kann man diesen Effekt aber abschwächen, und die Zusammenarbeit ist in Krisensituationen ein wichtiger Faktor. Es braucht nämlich einerseits Stabilität, andererseits Agilität – ein Mensch oder eine Gruppe alleine kann das oft nur schwer bieten, da müssen verschiedene Fraktionen zusammenarbeiten.

Von Valentin Bayer