Krise – Wirtschaft – Umwelt: Unvereinbare Interessen?

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Unser Planet und die Wirtschaft müssen sich gemeinsam erholen.

Gerade, als sich die Welt endlich einigermaßen auf die Bekämpfung der Klimakrise eingestimmt hätte, brach Covid-19 über uns herein – und die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Wie können sich Wirtschaft und Umwelt jetzt gemeinsam erholen?

2019 forderte die Fridays For Future Bewegung, dass endlich Bewegung in die Bekämpfung des Klimawandels kommt. Die EU-Komission stellte mit dem European Green Deal einen Fahrplan vor, mit dem die EU bis 2050 CO2-neutral werden sollte. Und dann kamen 2020, Pandemie, Lockdowns und Wirtschaftseinbruch – und plötzlich haben wir zwei Krisen gleichzeitig zu lösen.

Doch alles Jammern hilft nichts, und fast alle Experten sind sich einig, dass wir jetzt eine Chance haben: Denn es geht an den Wiederaufbau, und den können wir dazu nutzen, um zu robusteren, nachhaltigeren Wirtschaftsformen zu finden. Wichtiger Baustein dazu ist die Green Recovery, also Konjunkturanreize aus der öffentlichen Hand, die langfristig die Erfüllung der Klimaziele unterstützen. Diese haben laut Ökonomen wie Joseph Stiglitz, der 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank war, wirtschaflich besonders hohe Erfolgsaussichten.

Vorreiter-Kontinent

Durch ihre ambitionierte Zielsetzung möchte die EU zum globalen Vorbild werden. Die EU soll also nicht nur ihren eigenen CO2Ausstoß senken, sondern auch noch Länder und Wirtschaftsräume außerhalb der Union dazu anstiften, es ihr gleichzutun.

Das heißt, dass der Green Deal auch wirtschaftlich klappen muss. Daran wird letztlich auch sein Erfolg gemessen werden: Auf dem Markt setzt sich meist die Idee durch, die den größten wirtschaftlichen Gewinn bringt.

Deshalb sollten wir bei der Umsetzung der Klimaziele auch Europas Interessen nicht aus den Augen verlieren. Nur, wenn wir aus der gesteigerten Ökologisierung einen Marktvorteil machen können, kann der Green Deal zur internationalen Blaupause für CO2-Neutralität werden.

Schuss ins Knie?

Viele Wirtschaftsbereiche werden von den kommenden Investitonen profitieren, beispielsweise die Bau- und Elektrotechnikbranche. Eine der Gefahren des Green Deal ist aber, dass energie- und CO2-intensive Industriezweige, wie etwa die Stahlindustrie, unter Zugzwang geraten. Werden sie mit allzu strengen Maßnahmen belegt, könnten sie letztlich den Marktanschluss verlieren und im schlimmsten Fall ins Ausland abwandern.

Das wäre nicht nur aufgrund der verlorenen Arbeitsplätze tragisch: Die europäische Industrie verbraucht zwar absolut gesehen viel Energie, allerdings ist und bleibt beispielsweise die Stahlerzeugung energieintensiv – das gibt die Physik vor. Wir brauchen aber auch die Erzeugnisse aus energieintensiven Industriesektoren nun einmal, und im internationalen Vergleich ist gerade die österreichische Industrie recht effizient.

Vielschichtige Lösungen

Je aufwändiger und damit teurer die Herstellung in Europa wird, desto attraktiver werden Konkurrenzprodukte aus Drittstaaten oder die Verlagerung der Produktion europäischer Unternehmen ins Ausland, wo weniger strenge Auflagen herrschen. Am Ende würde also mehr CO2 freigesetzt als ohne Maßnahmen, die genau das verhindern sollten.

Die EU reagiert schon jetzt auf diese Problematik, indem sie für einige Betriebe Vorgaben lockert, wenn die Erfüllung zu große wirtschaftliche Einbußen bedeuten würden. Ein weiterer Lösungsschritt können CO2-Zölle an den EU-Außengrenzen sein. Durch diese würde zumindest der Wettbewerbsvorteil von Mitbewerbern aus Drittstaaten ausgeglichen und auch Unternehmen außerhalb der EU angeregt, ihre Produktion klimafreundlicher zu gestalten. Der Nachteil für europäische Unternehmen auf Exportmärkten bliebe aber bestehen.

Ideen braucht die Welt!

So oder so ähnlich sieht die Diskussion auf vielen Ebenen aus: Die Fragestellungen sind komplex, die Antworten noch komplexer – falls es überhaupt die eine Antwort gibt. Fest steht: Mutter Erde lässt nicht mit sich verhandeln, wir müssen den Wandel jetzt in Angriff nehmen. Fest steht aber auch: Unsere Wirtschaftskreisläufe sind hochkomplex und nicht unendlich belastbar, zudem agiert die EU nicht im luftleeren Raum.

Sie muss bei Maßnahmen immer auch auf die Marktumgebung und auf ihre Wettbewerbsfähigkeit achten, wenn sie nicht langfristig ihr riesiges Potential als Vorreiter verspielen will. Deswegen müssen Maßnahmen auch die Wirtschaft unterstützen. Dazu gehören einerseits konkrete Förderungen, die nach Möglichkeit auch Ökologisierungsprozesse auslösen. Andererseits muss Europa auch technologisch wettbewerbsfähig bleiben und sich noch weiter auf grüne Technologien spezialisieren. Konkret heißt das: mehr Geld für Forschung und Entwicklung.

Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen. Ja, es wird anstrengend, teuer und langwierig. Aber wir müssen jetzt ohnehin anpacken, und es bietet sich eine Chance, gemeinsam – also Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – wirklich Großes zu erreichen: eine sichere Zukunft für den Planeten und kommende Generationen. Dazu brauchen wir Mut, aber auch Weitsicht, um uns bei allem Enthusiasmus nicht langfristig Chancen zu verbauen.

Kommentar von Valentin Bayer